Während Agenturen und Werbungtreibende in ihrem Außenauftritt artig über Treue und Fairness in Krisenzeiten fabulieren, herrscht hinter den Kulissen der Media-Branche längst ein regelrechtes Hauen und Stechen.

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Corona wird Sieger und Verlierer hervorbringen. Das ist in jeder Krise so. Abgesehen von Härten ist das auch in Ordnung, solange sich das in einem begründbaren und von Anstand geleitetem Rahmen abspielt. In der Media-Branche scheint in Zeiten von Corona dieser Anstand allerdings immer mehr einer gefräßigen Unvernunft zum Opfer zu fallen.

Auch Kunden sind nicht immer Waisenknaben

Ein Beispiel: Derzeit versuchen einige Werbungtreibende direkt – oder indirekt über ihre Agenturen – massiv Druck auf die zum Teil schwächelnden Medien auszuüben, um ihre Konditionen nach oben zu schrauben. Natürlich müssen Werbungtreibende auf Corona reagieren und ihre Marktpartner, die Agenturen und Medien, notgedrungen mit ihnen.

Allerdings hat beispielsweise ein Touristikunternehmen angesichts umfassender Reisewarnungen seitens des Bundesaußenministeriums und daraus resultierender Stornierungen sicherlich einen akuteren und eher gerechtfertigten Bedarf, die Media-Konditionen an die Situation anzupassen, als ein großer Hersteller von Süßwaren, dessen Umsatz in Zeiten von #stayathome und erhöhtem Bedarf der Menschen nach Nervennahrung auf Rekordhöhe liegt.

Derzeit erscheint uns giergetriebenes Handeln im Media-Bereich besonders kurzsichtig, weil es Marktpartner existenziell gefährdet.

Hau drauf? Nicht jeder hat Hirn. Der Markt aber ein Gedächtnis!

Selbstverständlich kann man im Media-Einkauf auch immer austesten, „was geht“. Aber bitte mit Sinn und Verstand. Wenn Corona irgendwann Geschichte sein wird, gibt es ein Morgen. Und die Akteure in diesem Markt wechseln nicht so schnell, als dass übermorgen alles vergessen wäre. Selbst wenn Anstand als Kategorie wirtschaftlichen Handelns unwichtig wäre: Wer nach jemandem tritt, der am Boden liegt, braucht sich nicht zu wundern, wenn der so Behandelte bei der nächsten Verhandlung den frisch geschliffenen Dolch im Gewande trägt.

Ein X für ein U vormachen: Partnerschaftlichkeit geht anders.

Die Media-Agenturen stemmen sich mit aller Kraft – und keineswegs immer zum Wohle ihrer Kunden – gegen die Ertragseinbußen. Ihr Geschäft ist bekanntlich ein Volumengeschäft. Und das wird kleiner.

Von manchen Agenturnetzwerken sind momentan sehr eigenartige Töne zu vernehmen. Mit leichenbitterer Miene erheben sie Mitleid erregend Klage, da wegen der Krise die Preise dramatisch – bis zu 25 Prozent – steigen müssten. Für die Kunden natürlich. Die Agentur kann plötzlich angeblich Garantien nicht liefern, weil die Agenturvolumina sinken, die Inflation (welche Inflation?) tue ein Übriges …

Was Mediaagenturen tun, wenn’s weniger wird:

Wenn es an die eigenen Margen geht, sind die Agenturverantwortlichen freilich weniger großzügig. Hier einige Beispiele, wie Media-Agenturen durchaus auf Kosten der Werbungtreibenden „gegensteuern“:

  • Kunden, die Budgets streichen müssen, bekommen derart überzogen verschlechterte Konditionen, dass sie damit glatt doppelt abgestraft werden.
  • Der für die Agenturen profitable Trading-Anteil in den Media-Plänen steigt – allzu häufig ohne offene Kommunikation darüber – rapide. Die Leistungen der Mediapläne geht damit leider meist nicht nach oben. Im Gegenteil.
  • Einkaufspreise der Vermarkter drücken und diese Vorteile möglichst lange nicht an die Kunden durchreichen: Das ist Teil des Agenturgeschäfts und es ist völlig naiv zu glauben, dass die Regeln des Arbitrage-Modells ausgerechnet in der Krise außer Kraft gesetzt wären.

Wer als Media-Agentur gleichzeitig noch erklärt, es wäre unmoralisch, in der Krise zu pitchen, darf sich nicht wundern, wenn man spätestens bei einem Audit oder einem späteren Agenturvergleich die Doppelmoral in Zahlen vorgehalten bekommt.

Neu sind nicht die Spielarten, sondern die Dimensionen. Das kann keinem Kunden gefallen.

Kümmern? Ja, aber mit Hirn und Augenmaß 

Die Gier im Media-Bereich – egal von welcher Seite – hat zu jeder Zeit den Blick für langfristig gesunde Kooperationen zwischen Kunden, Agenturen und Medien verstellt – derzeit erscheint uns aber giergetriebenes Handeln im Media-Bereich besonders kurzsichtig, weil es Marktpartner existenziell gefährdet und einer konstruktiven, vertrauensvollen Zusammenarbeit auf Jahre gesehen den Boden entziehen könnte.

Dass sich jede Seite derzeit intensiv um sein Belange kümmern muss, steht außer Frage – aber eben damit genau nicht im Widersprich. Hirn und Augenmaß dürften nämlich nicht nur zu besseren Plänen, sondern zu weniger Erschütterungen in Kunden-Agentur-Beziehungen führen. Erfahrungsgemäß rückt das in Krisenzeiten recht bald ins Bewusstsein der Entscheider.

(Dieser Artikel erschien als Gastbeitrag / Kommentar von Markus Werner auf w&v online+ am 11.Juni 2020)